Wenn ein Mensch stirbt, vor allem wenn er aus eigenem Willen aus dem Leben scheidet, dann stehen im Raum unzählige Warum. Viele Dinge sind zu klären. Und die Angehörigen versuchen verzweifelt, herauszufinden, was diesen Menschen zu diesem Schritt bewogen hat.
Zweifellos scheidet niemand, der sich völliger geistiger Gesundheit erfreut, freiwillig aus dem Leben. Und für mich steht fest, dass mein liebster Freund zumindest von Zeit zu Zeit depressive Züge hatte. Aber er war eigentlich auch so selbstreflektiert, dass er das für sich erkannt und etwas dagegen getan hat.
Nun versucht die Familie sein Leben, oder das was er davon hinterlassen hat, zu ordnen und fällt dabei von einer Ohnmacht in die nächste. Alle Papiere sind pingeligst geordnet. Sie passen nur nicht zu dem, was er uns allen in den vergangenen Jahren erzählt hatte.
In den letzten Jahren hat er offenbar eine Illusion geschaffen. Zwar ohne Dinge direkt zu behaupten, aber doch, indem er Eindrücke erweckt hat, die den Tatsachen teilweise nicht einmal nahe komme.
Aber warum?
Dachte er, er wäre ein schlechterer Mensch wenn er er selbst gewesen wäre?? Wie anstregend muss es sein, so eine Illusion dauerhaft aufrecht zu erhalten. Warum hat er an Ende anscheinend bewußt geschwindelt? Und warum hatte er nicht den Mut um Hilfe zu bitten.
Natürlich wäre seine Familie und vielleicht auch ich anfangs enttäuscht und wütend gewesen. Mit Sicherheit hätte ich ihm an den Kopf geknallt, was der Scheiß soll…. und trotzdem hätte ich ihm jede Hilfe gewährt, die mir möglich gewesen wäre. Und ein Neuanfang wäre mit Sicherheit möglich gewesen. Es wäre ein schwerer Weg gewesen. Ein sehr schwerer…. und dafür fehlte offenbar die Kraft.
Wie hat meine liebste J. gesagt: Es war für ihn einfacher zu ertragen den kurzen Moment des Erhängens zu erleben als das Leben zu ertragen.
Für mich unvorstellbar. Aber ein schöner Trost!! Irgendwie! Sofern Trost überhaupt möglich ist.
Wenn hier jemand liest, der vielleicht in einer ähnlichen Situation steckt… nehmt Euren Mut zusammen und wendet Euch an die Person, der Ihr am meisten vertraut. Der Satz fängt ganz einfach an: Ich brauch Deine Hilfe, ich hab Mist gebaut….. Nach diesen 8 Worten habt Ihr das schlimmste überstanden. Und im besten Fall wird Euch am Ende des Gespräches jemand in den Arm nehmen und Euch sagen, dass alles gut wird!!
Irgendwann in dieser oder der nächsten Woche werde ich zusammen mit seiner Schwester in seiner Wohnung sein. Schauen ob wir Dinge klären können die sie nicht weiß, ich aber wissen könnte. Und vielleicht das spurlos verschwundene Notebook finden. In der Hoffnung, dass vielleicht darin ein paar letzte Worte der Erklärung zu finden sind. Auch wenn diese Hoffnung stündlich schwindet.
Ohje… da sind ja wohl viele Fragen zu beantworten! Ich wünsche dir ganz viel Kraft und vielleicht einen Hinweis dafür, warum er diesen Weg gewählt hat! *liebindenArmnehm*
Ich glaube ganz einfach – um Hilfe bitten ist so ziemlich das Schwierigste was es überhaupt gibt. Selbst, wenn es undramatische Situationen sind.
Ist so, weiß ich aus eigener (zum Glück nicht so heftiger) Erfahrung…
Ich hoffe, dass Ihr die offenen Fragen irgendwie klären könnt. Denn sowas nagt. Kann ich auch vestehen .
Zum einen kommen einem die eigenen Probleme so banal vor, dass man sich nicht traut, andere zu fragen, ohne ausgelacht zu werden. Zum anderen möchte man nicht diejenigen, die einem am Herzen liegen, noch zusätzlich belasten mit dem eigenen Kram. Und als Mann gehts sowieso erst mal nur allein. Da wird erst kurz vor dem Untergang gefragt, wenn nicht gar erst danach.
Das Illusionen bauen kann übrigens soweit führen, dass man schlussendlich nicht mehr weiss, was echt ist und was nicht, wer man eigentlich selbst noch ist.
Es wird nicht dabei bleiben, wenn du versuchst, den Grund zu finden. Das mag vielleicht noch gehen, aber danach kommt die Frage, wie er zu diesem Punkt gelangt ist und warum man nichts bemerkt hat. Im Nachhinein fallen vermutlich durchaus einige kleine Zeichen auf.